Sonntag, 1. November 2015

strand LEBEN strand BIZNESS





Ich hatte ja in einem früheren Posting ja angedeutet, dass ich nochmal etwas zum Strand-Leben" hier schreiben wollte. Passenderweise komme ich auch gerade von dort und habe mich gerade von den letzten Sandkrumen befreit. Meine Füße kamen schon vorher dort an der Promenade in den Genuss frischen Wassers ... gegen eine kleine Spende von 2 Reais. Womit ich auch schon genau im Thema bin: Bizness am Strand ... also die ganze Infrastruktur hier, die das Stranderlebnis an den vielen Stadtstränden insgesamt zu dem macht, was es ist. Ein kleines Paradies in Sachen serviço brasileiro: Gegend kleines Geld natürlich. Um es gleich vorweg zu nehmen: Man kann hier so ziemlich alles bekommen, was man braucht und nicht braucht ... ja, auch Marihuana. ;-) Scherzkekse ihr. Lustig, dass ich hier mindestens genau so oft darauf angesprochen werde wie in Deutschland, aber dazu später noch ausführlicher in einem anderen Zusammenhang.

Vielleich tist das insgesamt ein Thema, bei dem der / die ein oder andere jetzt denkt: "Ach egal, hauptsache ich kann in der Sonne brutzeln und bisserl im Wasser planschen". Ich dagegen finde das ganze Drumherum hier schon sehr interessant und habe mir dazu schon viele Fragen gestellt, wie das alles genau funktioniert und welche ungeschrieben Gesetze hier gelten zwischen den ganzen umherschwirrenden Leuten, die hier am Strand bzw. vom Strand leben. In den letzten Tagen war ich hier in Barra und andernorts recht viel am Strand und hab deswegen mal ganz gut auf ein paar Aspekte achten und einige Fragen beantworten können, die ich mir zuvor in dieser Sache gestellt hatte.

Erstmal muss man wissen, dass jeder der gut frequentierten Strandmeter hier unter den verschiedenen "Einzelhändlern" aufgeteilt ist. Quasi so ca. alle 100 Meter gibt es eine unsichtbare Grenze der "Einfluss- und Geschäftsbereiche" der einzelnen Service-und Verkäufer - "Gesellschaften" (so nenne ich das jetzt mal etwas übertrieben). Letztendlich hat also jeder der "inoffiziellen" Betreiber hier seinen Bereich, für den er zuständig ist bzw. sich zuständig fühlt. Natürlich beruht das ganze auf langfristig gewachsenen Traditionen und Strukturen. Man kann also nicht hier mit 100 Sonnenschirmen und Stühlen einfach so aufkreuzen und meinen, man sei hier ein neuer "Anbieter", in der Hoffnung damit viel Geld zu verdienen. So läuft das hier nicht. Man kann das natürlich versuchen, wird dabei aber schnell merken, dass hier jeder seinen Einflussbereich hat und man nicht einfach so dazwischenfunken kann. ;-) Stelle ich mir aber lustig vor, wenn das mal jemand versuchen würde. Letztendlich ist es ja nicht so, dass der Strand in einzelne Abschnitte aufgeteilt und anhand offizieller Lizenzen vermietet wird. Nein, wie in anderen Bereichen in Brasilien gibt es gewisse Strukturen, die gewachsen sind ... eben informell.

Und wie läuft das ganze nun ab?
Ich verdeutliche es mal am Beispiel der "Barraca de Mazinho", weil ich bei dem die letzten beiden Tage war. Mit Barraca meint man hier nicht die Favela-Hütten, sondern das Wort bezieht sich auf die kleinen überdachten "Stände" der einzelnen Betreiber hier am Strand, wo sozusagen die ganzen Utensilien, Getränke, Essenstände etc. untergebracht sind. Alle paar Meter gibt es hier in Barra einen anderen. Zu der absoluten Grundausrüstung, die jeder Strand "Chef/Betreiber, also jede der Ich-AGs hier im Angebot hat, gehören natürlich jede Menge Stühle und Sonnenschirme. 
Man braucht hier nicht extra danach fragen, das passiert alles automatisch. Schon wenn ich oben an der Promenade stehe und nach unten auf den Strand schaue, wird man mit coolen Gestikulierungen darauf aufmerksam gemacht, dass man unbedingt hier verkehren und seinen Strandbesuch abhalten soll, weil es hier ja am besten, günstigsten, coolsten ist... haha. Genau "Amigo". Manchmal ist das genau so wie anderswo im Leben: Man geht dahin, wo man schon mal gute Erfahrungen gemacht hat. Also zu Mazinho wie in meinem Fall. 

Was sind denn schlechte Erfahrungen? Schlecht ist zum Beispiel, wenn man in die "Gringo Tarif-Falle" tappt. Das meint schlicht, dass man überbezahlt. Die Betreiber sind natürlich gewitzt und gehen erstmal davon aus, dass man hier als Nicht-Einheimischer die üblichen Tarife nicht kennt. Dann kann es schon mal passieren, dass man das Doppelte für den Stuhl und den Sonnenschirm bezahlt. Das wären dann statt umgerechnet 2 Euro 4 Euro. Da mich hier aber die allermeisten Leute vom ersten Eindruck für einen Einheimischen halten, ist mir das bisher noch nicht passiert, außerdem habe ich gleich am ersten Tag mit ein paar Leuten gequatscht, die Preise verglichen und weiss ungefähr jetzt was man "in der Regel" für die Grundausstattung zu zahlen hat. Und wenn jemand dann doch unverschämt ist, dann geht man eben 100 Meter weiter zum nächsten Betreiber. Ähnlich wie beim Taxifahren. 

Wie läuft das ganze nun ab? Man checkt also oben an den Treppen der Promenade, wird von den "Strand-Jungs" (jede Barraca beschäftigt immer eine Vielzahl von Helfer-Jungs) schon angesprochen, was man haben will; verhandelt, sucht sich einen Platz aus und dann hat man den Rest des Tages den Stuhl und Schirm für sich. Gut ist auch wenn man kurz abklärt mit den Jungs, dass sie ein Auge auf die Sachen haben sollen, wenn man im Wasser ist. Mit inbegriffen sind auch noch andere Service-Leistungen: Kurze Erfrischungen mit der Gieskanne zwischendurch... wenn einen der Sand stört. Oder man kann einen der Strand-Jungs "beauftragen", wenn man irgendeinen Spezialwunsch hat zum Beispiel Drogen. Okay, ist in meinem Fall jetzt kein gutes Beispiel, aber nur mal theoretisch. Man sagt was man haben will und die Jungs sorgen dafür, dass man die Ware ein paar Minuten später bekommt. Man kann auch jemanden von denen losschicken, wenn man ein besonders Gericht aus einem der umliegenden Restaurants haben möchte. Die liefern das Essen natürlich nicht selbst an den Strand. Oder wenn man einen Açaí möchte. Kostet natürlich wie alles hier an Service. Aber es ist nicht die Welt... schon gar nicht für Europäer.
Meist bezahlt man gleich für alles sofort, wenn viel los ist. Wenn nicht so viel Betrieb ist, kann man aber auch später, wenn man den Strand verlässt seine Gesamt-Rechnung abgleichen. Da sind die Jungs hier sehr entspannt wenn man einen entsprechenden Eindruck macht. So wie ich. ;-)

Die Jungs sind quasi Service-Dienstleister, die den Laden am Laufen halten. Sie bringen abends die ganzen vielen Strandstühle, Getränke und Lebensmittel etc.. in ihre Lager, die gleich in den ersten Straßen der Promenade sind. Jeder Stuhl bzw. Sonnenschirm ist mit dem Namen des Barraca Betreibers versehen, damit es keine Verwechslungen gibt, wer jetzt von wem die Infrastruktur wohin bringt. Von dort aus herrscht jederzeit ein reger Schubkarren-Verkehr, der die Güter aus dem Lager zum Strand transportiert. Das Bier muss eben kalt sein hier. Und kalt meint hier richtig kalt. Tagsüber hängen sie dann entweder unten am Strand ab bzw. sprechen oben an der Promenade die Leute an, wenn sie erkennen dass jemand runter zum Strand möchte. Man ist hier als Kunde schon sehr umkämpft. Naja und ansonsten gibts noch die Disziplinen der Jungs: Cool sein, coole Sachen machen, Mädchen beeindrucken und darauf achten, dass die Kunden zufrieden sind. Ja, für diese Jungs ist der Strand ihre tägliche Arbeit. 

Ich habe mich schon ein paar Mal dabei ertappt und gedacht: "Klar, das ist nicht so wie in Deutschland an der Nordseeküste hier, dass die mal eben so einen Ferienjob hier für 2 Monate machen, die LEBEN das ganze Jahr davon. Durchgängig. Haben keine Ausbildung und machen das hier nebenbei. Nein, sie arbeiten für die Barracas ... und die Arbeit ist der Strand." Wie gesagt, für manch einen wird das alles wohl unerheblich sein, aber ich stelle mir schon immer wieder viele Fragen und versuche die Prozesse hier umfassend zu durchdringen. Ich hab mit einem der Jungs, den ich in der ersten Woche kennengelernt habe, auch darüber gesprochen, weil ich auch erst dachte "Okay, die machen das so nebenbei", aber er hat mir das dann alles erklärt und auch erzählt, wie eben die andere Seite zu sehen ist, wenn es mal ein paar Tage regnet in der Regenzeit. Wenn dann keine Leute zum Strand gehen, gibts eben schlicht keine Arbeit. Außer die Lager auffüllen. Aber das kommt hier in Salvador ja wirklich selten vor außer in ein paar bestimmten Wochen im Jahr. 

Jede Barraca dient also gleichzeitig als Versorgungsstation für Essen und Trinken. Jede Menge Alkohol, Erfrischungsgetränke, Säfte, Kokusnüsse und allerhand leckere kleine Spezialitäten der bahianischen Küche kann man dort bekommen. Dazu gibt es Musikversorgung und für die Familien entsprechend Spiele und Swimmingpools für die Kinder ... bzw. Spiele wie Frisbee, Bälle etc, die man sich gegen Geld ausleihen kann. Oder man bestellt gleich eine Kühlbox wenn man einen ganzen Nachmittag mit einer Gruppe am Start ist. Wenn man clever ist, macht man gleich einen Festpreis wenn man "eincheckt", dann bekommt man alles etwas günstiger. Die Betreiber der Barracas bieten einem auf jeden Fall sofort alles mögliche an ... man will halt verdienen, klar. Manchmal lohnt es sich allerdings etwas zu warten...

Es ist nämlich oft besser und günstiger wenn man auf die "fliegenden Händler" wartet, die alle paar Minuten vorbeigehen. Von ihnen bekommt man in der Regel einen besseren Tarif für Getränke und Essen. Mein Lieblingssessen am Strand ist "heißer Käse". Das ist hier eine Spezialität, die so an den Grillkäse in Deutschland erinnert. Sehr lecker und preiswert, umgerechnet 80 Cent. Der wird dann jeweils in so einem kleinen Utensiel erhitzt, jeder hat da eine andere Methode. Manchmal werde ich dann nach dem Käse noch gefragt, ob ich auch noch "was anderes" probieren möchte, damit ist in der Regel Marihuana gemeint. ;-) Diese "fliegenden" Händler arbeiten in der Regel autark. Ich habe ja schon beschrieben, dass dies oft arme Leute sind, die hier am Strand versuchen ein paar Taler zu verdienen. Manchmal sind noch ihre Kinder dabei, dazu habe ich ja schon geschrieben inwiefern mich das doch sehr nachdenklich gemacht hat. Natürlich gibts das ganze Programm: Schmuck, Ketten etc. kennt ihr ja alles. Ich muss aber sagen, dass ich mich bisher davon nicht genervt oder mich belästigt fühle. Sie sind nie aufdringlich. Ich hab das in Rio echt schlimmer erlebt, da waren die fliegenden Händler mitunter echt anstrengend. Hier ist alles dagegen ganz locker...Sie rufen zwar die ganze Zeit ihre Angebote, aber man wird selten direkt aufdringlich "angesprochen" ... man kann das alles also relativ entspannt an einem vorbeiziehen lassen. 

Außerdem gibts noch die Müll- und Dosensammler. Ich hatte vorher gelesen, dass die Stände hier nicht sehr sauber sein sollen, bin aber sehr überrascht, dass die Realität ein anderes Bild zeigt. Ich habe aber im Netz herausgefunden, dass es wirklich vor ein paar Jahren noch ein großes Problem mit dem Müll hier an den Stränden gab. Dies hat man wohl jetzt in den Griff bekommen. Auf jeden Fall sammeln eifrig Leute den Müll bzw. die Dosen an den Stränden ein. Diese gehören auch zum "Netzwerk" der einzelnen Barracas. Man hat schließlich ein Interesse, dass der eigene Sand-"Einflussbereich" auch sauber ist. Sonst gehen die Kunden natürlich schnell 100 Meter weiter... ;-)

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Bisher bin ich wirklich sehr zufrieden mit dem "Service" hier an den Stränden. Klar, jeder der Strand-Jungs will sein Geld machen und die freundlichen Begrüßungen, High Fives etc. gehören zum Geschäft. Es ist aber trotzdem schön, dass man hier sehr nett behandelt wird und vieles eben "auf einen zukommt". Damit muss man aber auch umgehen können und verstehen, dass man hier zwar (fast) alles bekommen kann ... aber man eben auch immer ein bisserl Kleingeld in den Taschen dafür braucht. Aber es ist alles sehr sehr günstig und die 2 Reais (40 Cent), die ich dem Jungen oben an den Treppenstufen gegeben habe, dafür dass ich danach keinen Sand mehr an den Füßen hatte, die stören mich jedenfalls nicht. Das ist eben auch typisch Brasilien: Das Gegenteil von Service-Wüste Deutschland. Aber es kostet natürlich. Umsonst macht hier keiner groß was für einen am Strand, aber das ist auch klar, wenn die Menschen von diesen Service-Leistungen leben müssen! Das sollte man im Hinterkopf haben.

Man ist für die Jungs am Strand natürlich in erster Linie ein Kunde, aber es herrscht trotzdem eine sehr wohlwollende und sehr lockere Art des Umgangs, immer Smalltalk, ein paar Sprüche und Witze hier... dafür ist immer Zeit. Und es wird geschätzt, wenn man wiederkommt. Ich wurde eigentlich jedes Mal beim zweiten Mal mit einem Händedruck vom "Chef" begrüßt und war die ersten Mal etwas überrascht, dass die Jungs sich das hier merken können wer von den 1000en von Leuten die hier verkehren, gestern eingekehrt ist. Ist aber wirklich so. Es wird hier geschätzt, wenn man selbst die Arbeit und das Service Angebot der Betreiber schätzt und dies dadurch ausdrückt, dass man wiederkommt. "Fühl dich jederzeit willkommen wiederzukommen" hört  und liest man hier entsprechend oft.

Wie ich aber schon mal geschrieben habe: Seine absolute Ruhe wird man hier am Strand an den belebten Ecken jedenfalls nicht haben. Dazu muss man einen der "anderen" Stände besuchen, wo es eben keine Barracas gibt und man mehr für sich ist. Man kann all das haben, muss aber eben wissen wo man was bekommt. Das gilt für die Stände wie auch für fast alles andere hier. ;-)

Strand in Brasilien meint in erster Linie Geselligkeit, Musik, Spaß, Interaktion... "Bom praia" wünscht man sich hier. "Guten Strand" und dazu gehört eben auch die beschriebene "Bizness"- und Infrastuktur, die ich hier zu beobachhten jedenfalls sehr interessant finde.




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