Dienstag, 10. November 2015

off the beat - o centro antiga sangra



Normale Stadtführungen sind langweilig, dachte ich mir. Immer das gleiche Programm der offiziellen Führer, die routiniert ihr Ding durchziehen, die gleichen Informationen, die ich auch schon in meiner Vorbereitung im Selbststudium hier in Bezug auf meinen Aufenthalt in Salvador gelesen habe. Warum also viel Geld dafür ausgeben, dass Leute, die es sicherlich gut meinen, mir Sachen erzählen, die ich eh schon weiß. Die bekannten Orte hatte ich eh in den vergangenen Wochen schon auf eigene Faust oder mit einem Freund erkundet. Außerdem mag ich ja eh gerne abseits der bekannten Pfade wandern... warum also dafür Geld ausgeben? Lieber mal was anderes machen...

So habe ich mich mit Rob und Anne auf eine Free Walking Tour begeben, die außerhalb der bekannten touristischen Plätze in der Altstadt auf Pfaden unterwegs war, die eben die andere Seite - ich nenne es gerne das "dreckige, raue aber wahre Salvador der Menschen hier" der historischen Altstadt zeigt. Die Gegenden, die man eben in den ganzen offiziellen Darstellungen oder auch in Reiseführern und dergleichen eben NICHT zu sehen bekommt. Aber gerade diese Ecken interessieren mich ja am meisten! 


Pedro der Führer bietet diese Free Walking Touren seit fast 1,5 Jahren an und wurde von seiner Freundin unterstützt, die prof. Fotos geschossen hat. Das war eine super Sache und ich habe viel viel von Pedro gelernt, der immer viel Kritik geübt hat an dem, wie die Stadt sich touristisch auf offiziellen Wegen versucht zu präsentieren. Und er hat eben auch viel viel Kritik an der Neugestaltung und systemischen Transformation des Pelourinho in den letzten Jahren geübt ... weg von der Favela hin zu dem Zentrum, was es jetzt darstellt. Dies alles - auch die Aufnahme in das UNESCO Weltkulturerbe - muss man eben auch sehr kritisch sehen. Dies hat eben eine Menge positiver Sachen nach sich gezogen (z.B. die vielen kulturellen Projekte, die sich am Pelourinho angesammelt haben), aber hat eben auch viele Menschen aus dieser Ecke der Stadt "verdrängt". Dazu gab es von Pedro eine Menge Informationen, die man nur durch "Locals" wie ihn hier erfährt - die in dieser Ecke der Stadt aufgewachsen sind - und die in keinem Reiseführer oder dergleichen stehen. 

"O Centro antiga sangra" - Das ist der Claim all derjenigen Bewohner hier, die immer mehr "zurückgedrängt" werden von offizieller Seite, notfalls auch mit Polizeigewalt. Das ist die Stimme all derjenigen, die aus ihren Häusern gedrängt werden sollen ... damit die Gentrifizierung auch hier weitergehen kann. Es war für mich ein schönes Gefühl auf dieser Tour zu spüren, dass hier viele diese Leute aber nicht aufgeben in diesem immer noch fortwährenden Prozess und sich hier nicht verdrängen lassen ... wie lange dies allerdings noch so sein wird, das ist eine gute Frage.

Wir haben dann im Verlauf des Nachmittags noch eine brasilianische Familie besucht, die hier in der Altstadt lebt. Insgesamt hat die Tour von 2 bis um 7 gedauert. Sehr lange, aber auch sehr intensiv und wir haben ne Menge Menge Ecken und Plätze gesehen, die hier etwas versteckt liegen ... und manche von denen hätte ich auch alleine sicherlich nicht gefunden, auch wenn ich in den vergangenen Wochen schon eine Menge hier auch auf eigene Faust in der Altstadt erkundet habe. 

Abends haben wir das ganze dann noch mit einem gemeinsamen Essen abgerundet und konnten Pedro noch viele Fragen stellen und er hat noch einige Geschichten erzählt ... und das alles auf einem "Spende so viel wie du möchtest" Prinzip. Genial! :-)) 
Sicher eine der besten Aktivitäten, die ich bisher so in einer Gruppe hier gemacht habe!


"Die Altstadt weint" - Claim der Anwohner, die sich gegen die zur Zeit ablaufenden "Verdrängungsmaßnahmen" von offizieller Seite der Stadt wehren. Gegen die Gentrifizierung!


Anne, Rob, Raul Seixas und Anette


Der erste Barbier in Salvador. Ein historischer Platz! Ich wollte trotzdem nicht Platz nehmen ;-) haha

Rob diskutiert mit Pedro über die Unterschiede der Staftverfolgung aufgrund von Marihuanabesitz zwischen den Niederlanden und Brasilien. Großes Kino oder wie man so sagt ;-)



traditionelles "Acarajé-Rezept" - Kultspeise hier in Salvador

im Museum der "Bahianas" - Schrift über die traditionelle weiße "Tracht" der Bahiana-Frauen

im Museum: Traditionelles Outfit einer typischen "Acarajé-Bahiana" - so verkaufen sie auch heute noch ihre Acarajé Bällchen auf der Straße! 


Ogum, ein Orixá in der Religion des Candomblé.

Ogum, ist in der Religion der Yoruba/ des Candomblé der Orisha des Eisens, der Mineralien, Wälder, Schlüssel, Gefängnisse und der Werkzeuge und stellt somit den Patron der Mechaniker, Ingenieure und Soldaten dar. Gleichzeitig wird er hier als "Dende-Master" beschrieben, sozusagen der "Chef" des Öls, in dem die Acarajés gebrutzelt werden.



Blick von der Dachterrasse der Familie am Pelourinho, die wir besucht haben




die weltbekannte Trommelgruppe Olodum. Ist hier ziemlich Kult


Largo do Pelourinho - sicherlich mit Abstand der bekannteste Ort in Salvador. Testet mal und gebt mal bei google "Salvador Bahia" ein  ;-) Das Feeling dort ist wirklich wunderbar, finde ich.





Raul Seixas und Rob the brain.


auf der Dachterasse der netten brasilianischen Familie, die wir besucht haben



der historisch-raue Charme der Altstadt






viele der historischen Gebäude stehen zur Zeit leer. Aber die Besitzer verhindern gleichzeitig, dass nicht so wohlhabende Menschen hier einziehen können; manchmal rührt sich seit Jahren nichts. Alles sehr widersprüchlich in dieser Ecke der Altstadt.




was Straßen- und Mauerkunst angeht, gefällt es mir hier auch sehr gut







"Zeichen urbanen Verfalls"- ein ehemaliger Elevator, der irgendwann aus dem Betrieb genommen wurde. Solche Ecken gibt es hier zu hauf... wie gesagt, rauher Charme. Mich faszinieren solche Ecken.





eine der typischen engen "Zwischenstraßen" hier mit lauter Obstständen, wie es sie hier zuhauf gibt

klar, Karte geht hier in Brasil immer. Auch aufm Markt. Und wenn der Stand noch so ärmlich aussieht





hier lassen die Besitzer dies historischen Gebäudes das Ding lieber leerstehen und machen den Rubel bzw. Real lieber mit Parkplätzen ... städteplanerisch eine Katastrophe. Was könnte man hier Schönes draus zaubern....


auf gehts, eine weitere Ladeira ... ihr wisst ja, wie mich diese Straßen faszinieren

was hier wohl schon alles für Geschäfte aus der Unter-und Rotlichtwelt abgewickelt wurden...

die berühmte Ladeira da Conceição da Praia mit den farbigen Rundbögen






die Bewohner wehren sich! Auch wenn es für viele nur ein "stummer Schrei" ist

hier in den "Rundbögen" sind viele Handwerker mit ihren Werkstädten zu Hause. Diese versucht man nun aus diesen alten historischen Wohnungen zu drängen ... um dann daraus ganz tolle Sachen mit Mehrwert zu zaubern. Stadt und potentielle Investoren arbeiten hier natürlich zusammen ... es wird geschmiert, getrickst und die unschuldigen Bewohner werden mit Polizeigewalt (hab wirklich schockierende Videos gesehen) tyrannisiert*kotz*










wie schon so oft gesagt: Niemals alleine hier die Ladeiras betreten









eines meiner Lieblings- "Straßen-Kunstwerke" :-)

Das Foto zeigt ganz gut die Höhenunterschiede auf zwischen der Altstadt (siehe die braune Stadtumrandung in der Mitte) und der Unterstadt (Cidade Baixa): Rechts ist die Schnellstraße "Avenida Lafayete Coutinho" mit den Autos zu sehen



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