Montag, 2. November 2015

Ladeiras (2)




Wie ihr schon mitbekommen habt, gehören für mich die steilen Ladeiras hier zu einem der faszinierendsten Aspekte der Stadt. Und von diesen gibt es aufgrund der sehr hügeligen Lage Salvadors eine ganz schöne Menge. Wie ich im Posting über den Pelourinho schon ausgeführt habe, gibt es zwischen dem Bereich der oberen Stadt (Altstadt) und der Unterstadt hier in Salvador jede Menge dieser steigen Kopfsteinpflaster-Straßen / Wege. Mal breit wir hier im Bild oben (das ist die Ladeira da Misericórdia, "Steigung der Barmherzigkeit) und mal ganz ganz klein und eng. Mich faszinieren diese historischen Straßen sehr und ich stelle mir oft vor, wie hier das Leben vor 100 Jahren und mehr wohl ausgesehen hat. Viele dieser Ladeiras wurden für den Warentransport vom Hafen in die Oberstadt genutzt. Die Sklaven mussten damals den ganzen Tag die schweren Lasten nach oben schleppen. Schon allein dadurch sind diese Wege "kulturell historisch" aufgeladen und haben die Geschichte und Entwicklung der Stadt geprägt. 

Auf der anderen Seite sind die Ladeiras hier mit dem Image von ich nenne es mal "Problem-Straßen" verbunden, was ich ja auch schon anklingeln ließ. Dies ist dadurch bedingt, dass es im Laufe der Jahre zu einem "Verfall" dieser Straßen kam, was dadurch zu erklären ist, dass sie zunehmend unattraktiver in ihrer Funktion als Transport und Verkehrswege wurden. Viele der kleinen Ladeiras sind mit Autos nur schwer bis gar nicht passierbar. Außerdem wurde der große Elevador immer weiter ausgebaut und es wurde in andere, größere Straßen investiert, die den Autotransfer von der Unter- und die Oberstadt auffingen. So verkamen die Ladeiras immer mehr, wurden nicht mehr instandgesetzt und wurden zur Heimat von Drogenhandel (im bras. português gibt es übrigens die beiden Worte "tráfico" und "tráfego" - das eine bedeutet Verkehr und das andere Drogenhandel *g*), Prostitution und Kriminalität. Rund um viele Ladeiras versammelte sich entsprechendes Klientel, so dass diese Straßen irgendwann von offizieller Hand komplett "links liegen gelassen" wurden. In den letzten Jahren kam es wie unten auf den Bildern zu sehen ist, in einigen Straßen zu "kulturellen Restaurierungs-Kampagnen", z.B. eine sehr coole Aktion von einer Streetart-Gruppe hier. Das Ziel ist dabei langfristig, diese wunderschön charmanten Straßen wieder für die "normale" Bevölkerung wohnbar zu machen. Ob das gelingt ist eine andere Frage. Womit wird auch wieder bei der Frage nach der schon fast beühmten Gentrifizierung dieser Tage wären.

Jedoch muss ich sagen, dass nach meinen bisherigen Eindrücken, Erfahrungen und Gesprächen mit Einheimischen die allermeisten der Ladeiras rund um die Altstadt immer noch eine komlett "rote Zone" sind - bei Tag und besonders bei Nacht. 

NIEMAND DER HIER NICHT WOHNT, GEHT HIER FREIWILLIG ENTLANG! 

Dies kann man sehr gut verstehen, wenn man sich klar macht, dass diese Straßen durch ihre oft hohen Mauern es quasi unmöglich machen, aus einer Gefahrensituation zu flüchten. Gleichzeitig bieten sie vielen Armen, Schwachen und Abhängigen eine ideale Grundlage für quasi "freie Hand" in Sachen Drogen- und Menschenhandel... u.a. auch wegen der hohen Mauern und des Gefühls, dass man dort aus vielen Winkeln recht unbeobachtet agieren kann. Die Polizei habe ich in meinen ganzen bisherigen 6 Wochen hier in Salvador, in denen ich in viele "Ladeiras" reingeschaut habe (also von oben so weit wie der Blick es zulässt, in manche bin ich auch ein paar Meter reingegangen,aber nur so weit bis ich wieder an den "Eingang" schauen konnte) nicht ein einiges Mal dort oder auch nur in der Nähe einer dieser gefährlichen Straßen gesehen. Am Pelourinho auf den zentralen Plätzen stehen sie alle paar Meter und ein paar Meter weiter sieht man sie nie...

Ein Mal bin ich ein kleines Stück in eine Ladeira an einem offenen Hang mit Blick auf die Allerheiligenbucht hineingegangen, da kam eine dann eine im Endeffekt doch recht nette Frau auf mich zu, die mich völlig entgeistert angeschaut hat, was ich denn hier suche. Ich hab ihr meine Motive erklärt, aber sie ließ mich kaum zu Wort kommen und gestikulierte wild umher... nach einigem Nachfragen hab ich dann verstanden, dass sie in heller Aufregung war, weil ich hier mir nichts dir nichts einfach so rumspazierte. Sie hat mir das dann erklärt, dass sie seit 30 Jahren in dieser Gegend wohnt und mir den dringenden Tipp gegeben schnell wieder nach oben zu gehen. Letztendlich war ich der Frau, die danach wieder ihrer Arbeit auf dem Markzplatz nachging, dankbar für den Hinweis. Ich hab dann im Laufe der Zeit auch verstanden, warum. Die ganze Gegend an diesem Hang ist von Crackabhängigen gesäumt und als ich eines anderen Tages von oben, auf einer Plattform eines Parkplatzes in die Straßen dieser Ecke geschaut habe, habe ich auch verstanden, dass es keine gute Idee wäre, dort entlang zu gehen.Im Netz hab ich dann auch viele Berichte über Überfälle und weitere Youtube Videos gesehen, die gut aufzeigen, was der so los ist... das ist wirklich oft erschreckend für mich, wenn ich im Internet ein bisserl lese und nach den Orten suche, die ich hier in Salvador besucht habe. Was dort alles allein in den letzten Wochen passiert ist an Überfällen und Verbrechen. Hmm, da wird einem schon anders...

Aber trotz allem: Ladeiras bleiben für mich faszinierend. Trotz aller Problematiken, irgendwie fasziniert mich dieser raue Atmosphäre, die Zeichen der Zeit, die dort sichtbar sind, die Historie der Steine, aus denen sie gebaut sind, die Graffitis an den beschmierten Wänden, die Geschichten, die diese steilen Straßen in sich tragen, der Verfall der alten Mauern... dirty sides of Salvador.




im Bereich der Altstadt gibt es neben dem großen Elevador Lacerda noch 3 Seilbahnaufzüge, die die Ober- mit der Unterstadt verbinden. Man kann umsonst mit ihnen nach oben / unten fahren, aber zur Zeit sind nur 2 in Betrieb



kleine Sequenz einer Einfahrt in die bekannte Ladeira da Preguiça ("Steigung der Faulheit"), die durch den gleichnamigen Song von Gilberto Gill 1971 im ganzen Land bekannt wurde.


Fahrt nachts durch die Ladeira da Montanha ... wenn man liest, was dort alles so passiert, bekommt man schon ein mulmiges Gefühl bei der dunklen Atmosphäre in der Nacht




viele der historischen Straßen an den Hängen der Altstadt sind verfallen und in ziemlich schlechtem Zustand. Rauer Charme.









Straßenkunstprojekt an der Ladeira da preguiça. Wie schon beschrieben: Manchmal ist hier die Fassage sehr schick und trotzdem trügt der Schein. Man sollte die Straße auf keinen Fall alleine durchqueren, auch wenn es hier noch so schick aussieht. Die Gegend ist ziemlich ziemlich unsicher und hat ein großes Crack-Problem ... mehr muss ich denke ich nicht sagen, damit ihr versteht. 




wie gesagt, nicht von den schönen Farben täuschen lassen. Kein Einwohner aus Salvador, der hier nicht selbst wohnt bzw. unter den Einheimischen in der Straße bekannt ist, geht hier lang. Niemand.




die Ladeira da Montanja aus dem Video (siehe oben)


 







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