Dienstag, 18. Juli 2017

São Luís - Kontraste (in) der Stadt 1


Ich wusste zwar, dass die Stadt alles andere als so "geordnet" und strukturell geplant ist wie Fortaleza, eben weil beide Städte allein aufgrund der Historie und der unterschiedlichen Entwicklungsstruktur kaum miteinander zu vergleichen sind: Jung und alt irgendwie...  Strand Vibes contra Kolonialgeschichte. Und Ana-Clarissa, die hier aus dem Bundesstaat Maranhão stammt und schon oft hier war, hat mich auch mehrmals "gewarnt", dass hier nicht alles so "modern" ist mit riesen Hochhäusern wie in Fortaleza - wobei sie natürlich nicht wissen kann, dass ich gerade diese "raue, alt-heruntergekommene, etwas dreckige" Atmosphäre in brasilianischen Städten sehr mag (auch hier lässt Salvador grüßen!). 

Sehr positiv überrascht hat mich aber, wie schön vielfältig von den natürlichen Gegebenheiten her die Stadt sich zeigt: Meine geliebten "ladeiras" (Straßen, enge Gassen mit heftigen Steigungen) gibt es hier, dazu ist alles viel chaotischer als in Fortaleza: Der Verlauf der Straßen, der Aufbau der Stadt, die gesamte "Einfügung" der Stadt in die Natur: Die Brücken, Wälder, die Inselstruktur. Für brasilianische Verhältnisse zweit "nebeneinander" liegende Großstädte, zwei völlig unterschiedliche Welten. Um das mal etwas besser zu erklären: 
Die Stadt São Luís als Hauptstadt des Bundesstaates Maranhão liegt selbst an der Nordwestspitze der (Halb-) Insel "São Luís-Ilha do amor" - zwischen den Buchten São Marcos und São Jose. Diese Insel insgesamt ist ca 50 km lag und nur durch schmale Kanäle und Flüsse vom Festland getrennt (siehe Karte). Das Stadtgebiet ist wie die gesamte Insel durch ebenfalls zahlreiche kleine Hügel, Flüsse, Lagunen, Mündungen und (Mangroven)-Waldgebiete ziemlich weitläufig und sehr vielfältig von der natürlich-urbanen Struktur her. 





Die Bucht São Marcos und der Fluss Rio Anil "teilen" die Stadt dabei nochmal in quasi 2 Hälften: 
Zum einen das hügelige Zentrum mit dem historischen Altstadt-Teil dem wilden und engen "Centro" der Stadt und zum anderen im Norden auf der anderen Seite der ins Land schneidenden Bucht der "moderne" Teil der Stadt (São Francisco) und den Stadt-Stränden. Hier gibt es viele moderne Gebäude, Hotels, Restaurants und Bars. Es führen zwei große Brücken über die Bucht und mitunter fühlte es sich schon fast wie zwei verschiedene Welten an, was die Atmosphäre betrifft, besonders wenn man tagsüber mehrmals über eine der Brücken fährt in die Altstadt, ins Zentrum fährt:

Ziemlich viel Verfall, verlassene und im Zusammenbruch befindliche Häuser, einige kleine Ruinen, Müll und viele viele Menschenmassen im Zentrum; kleine Gassen und viele bunte Häuschen und einfach ein wunderbares Feeling: 
Man fühlt einfach die Geschichte der Stadt... es ist bunt, es ist kreativ, es ist Graffiti in den Straßen, die Musik in der Luft, an jeder Ecke ein anderer Song, ein anderer Fruchtsaft (für mich) oder ein anderes Bier (für mich nicht). Ich liebe das einfach wie eng, hektisch, überfüllt und voller wildem Leben es in vielen "Centros" brasilianischer Großstädte zugeht, so auch hier. Klar, manchmal ist mir das auch zu viel... aber irgendwie ist das doch einfach das "richtige" Leben: 

Die "einfachen" Leute auf den Straßen, jeder verkauft etwas vor seinem Haus, an seinem Stand oder einfach so auf der Straße, alles ist beengt, die Luft duftet nach Essen, Saft, den Menschen und einfach nach Leben. Jetzt am Mittag, in der Hitze von 33 Grad und manche Menschen tragen Sonnenschirme. Ich natürlich nicht. Ich schaue auf die Straße, 3 verschiedene Beläge auf 5 Metern, die Bürgersteige zwischen kaputt und schief, zerfallen,  alles ist irgendwie zwischen "noch in Reparatur" / kaputt oder "wird bald gemacht", vorbei an den Straßenhändlern, der nächste Reggae Song in meinem Ohr ... die Gespräche der Menschen, alles kommt zueinander und irgendwie fühle ich diese "hitzige" Centro-Atmosphäre ... und ich fühle mich sehr wohl. Und hier in São Luís kommt dazu noch der Aspekt der (Kolonoal-) Geschichte, dem man sich einfach nicht entziehen kann, wenn man aufmerksam durch die Straßen geht: Die Ladeira hoch, vorbei an einer kleinen Gasse, vollgestellt mit Autos, die hier eigentlich nicht parken dürften, um die Ecke ein großes Graffiti: Schwarze Ketten und ein Mann drauf zu sehen, der diese mit einer Säge zerteilen will; der Name der Straße zeigt mir an, was hier früher war: 

"Zur Unterstützung der Plantagenwirtschaft wurden tausende afrikanische Sklaven nach São Luís verschleppt. Von dieser Epoche zeugt noch heute der alte Sklavenmarkt in der Stadt. Nach Salvador ist São Luís die Stadt mit dem größten Anteil schwarzer Bevölkerung in Brasilien."

Nach der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 von den Briten wurde nach neuen Baumwoll-Quellen gesucht und die USA wurden hier im Norden Brasiliens fündig und so erlebte damals dieser Teil Brasiliens seine Blütezeit - dank der Schufterei afrikanischer Sklaven! 
Die damals sehr wohlhabende Stadt war mit dir erste Brasiliens, die asphaltierte und beleuchtete Straßen erhielt. In dieser goldenen Ära entstanden zahlreiche Palastbauten und prächtige Herrenhäuser. Als die Nachfrage nach den landwirtschaftlichen Erzeugnissen nachließ im späten 19. Jh. begann ein langer Niedergang, der der Stadt argh zugesetzt hat. Um der stagnierenden Wirtschaft neue Impulse zu verleihen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Großprojekte in der Nähe von São Luís realisiert, darunter der Ausbaue des benachbarten Hafens zu einem Tiefseehafen. Insgesamt geht es der Stadt - bis auf die Einnahmen durch den Tourismus - heute jedoch alles andere als rosig.

All dies zeigt mir die Stadt mit ihren Straßen und Gebäuden wenn ich durch die Altstadt und das Zentrum schlendere, mit ihrer Mischung aus altem Reichtum, baulichem Verfall, immer noch bunten Häusern und wieder aufgebauten und aufgepeppelten Gebäuden  und genau diese Mischung ist faszinierend und etwas ganz anderes als einen auf der anderen Seite der Stadt erwrtet: 
Breite Straßen, Hochhäuser, Sonnenreflexionen in den blaugetönten großen Glasfensterfassaden. Geschäftige Menschen, zwischen Dienstleistungskultur, großen Residencial-Wohnkomplexen und den Stränden der Stadt. Alles ist weitläufig, modern... so wie die großen Stadtviertel in Fortaleza am Strand. Klar, an den Rändern zu den Mündungen des Flusses und bei den Waldgebieten, die sich durch die Stadt ziehen... sieht man auch hier die Favelas, die teilweise an den Rändern von den Gezeiten in Mitleidenschaft gezogen wurden, so dass die Menschen lieber direkt unter den Brücken leben: 

Unmenschliche Bedingungen nur so wenige Meter von den Hochhäusern der Mittel- und Oberschicht entfernt. 
Auch hier zwei Welten, aber statt jung und alt sind es hier arm und reich. 
Land der Kontraste.

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